Die neue alte Kommode

Martin schrieb: “Du fährst von Burgham nach Südwesten in Richtung Elborst auf der großen Straße mit viel Verkehr. Nach ein paar Kilometern steht in der Eichenallee eine tolle Eiche, Du kannst sie an der besonders schönen Krone erkennen. Drei Minuten später steht auf der linken Seite ein Haus mit einer schönen alten Eingangstür. Dort bitte nicht links abbiegen, sondern rechts nach der vierten Straße nach diesem Haus. Der Zielort ist dann das Haus, das eine knallrote Eingangstür hat.”

Du fragst nach der genauen Adresse, erhältst aber keine Antwort mehr. So ein Mist, wie sollst Du das finden? Du könntest es einfach sein lassen, aber es ist eine genau passende alte Kommode, nach der Du ewig gesucht hast – und morgen fährst Du in den Urlaub. Also los, irgendwie wird das schon gehen und die Anweisungen enthalten wenigstens einige markante Wegmarken.

Im Auto versucht Du, Elborst in Dein Navigationsgerät einzugeben, merkst aber rasch, dass es mehrere Elborsts gibt im Umkreis der Millionenstadt Burgham und gerade südwestlich von Burgham einige Elbsorsts in unmittelbarer Nähe zueinander. Na toll.

Du fährst los aus dem nördlichen Vorort Burghams in Richtung des südwestlichen “Elborst-Haufens”. In irgendeinem Kreisverkehr gibt es schließlich dann aber zwei Ausfahrten in Richtung Elborst. Eine davon ist eine Bundesstraße und Du hoffst, dass das die große Straße mit viel Verkehr ist, denn sie ist weder merklich größer noch hat es gerade viel Verkehr. Im Kreisverkehr fährst Du zwei Mal im Kreis und biegst dann auf die Bundesstraße ab.

Ah, eine eine Eichenallee, denkst Du, als Du kurz darauf in eine Eichenallee kommst. Du atmest erleichtert auf und hältst Ausschau nach der tollen Eiche mit der besonders schönen Krone. Rasch merkst Du, dass Du fast alle Eichen in dieser Allee toll findest und viele davon haben Deiner Ansicht nach besonders schöne Kronen. Deine Hände beginnen zu schwitzen und Dir wird mulmig, denn wie sollst Du wissen, welche Eiche gemeint ist? Vielleicht kommt ja noch eine Eiche, die alles Andere in den Schatten stellt, im wahrsten Sinne des Wortes.

Du fährst rechts ran und liest die Wegbeschreibung noch einmal. Ah, ja! Einige Minuten nach der Eiche soll links ja das Haus mit der schönen alten Eingangstür kommen. Dir wird klar, dass die tolle Eiche mit der besonders schönen Krone in dieser Beschreibung vielleicht gar keine entscheidende Rolle spielt und beruhigst Dich wieder. Weiter geht’s.

Schon nach wenigen Minuten siehst Du eine Eiche, die unglaublich alt sein muss, viel älter als alle anderen Eichen, die Du in der Allee bislang gesehen hast. Sie erinnert Dich an die tolle tausendjährige Eiche mit der besonders schönen Krone, die Du vor einigen Jahren mal in Ivenack gesehen hattest und Dir wird klar, diese Eiche muss gemeint sein. Du freust Dich und nimmst Dir vor, auf dem Rückweg bei dieser Eiche anzuhalten und ein paar schöne Fotos zu machen.

Nach drei Minuten soll links nun dieses Haus mit der schönen alten Eingangstür zu sehen sein. Zehn Minuten später gibt es immer noch keine Häuser, weder links noch rechts, dafür erreichst Du das Ortsschild von Elborst und danach die ersten Häuser. Das verunsichert Dich. Nicht nur, dass Du zehn Minuten Fahrzeit nach der Eiche hinter Dir hast, Martin schrieb auch “in Richtung Elborst”, was Du so verstanden hattest, dass Deine neue alte Kommode noch vor Elborst auf Dich warten würde. Na ja, vielleicht hast Du das falsch verstanden.

Du achtest auf die Eingangstüren der linksseitigen Häuser. Nach einigen Minuten erreichst Du das Ende von Elborst und kein einziges der ungefähr 30 Häuser hatte eine als alt erkennbare Eingangstür. Oh nein! Was jetzt? Kommt nach Elborst noch eine sehr markante Eiche? Eine Eichenallee kannst Du nicht erkennen, dabei ist das Land platt und Du siehst mehrere Kilometer weit. Bist Du im Kreisverkehr etwa auf die falsche Straße abgebogen und musst nun ganz zurück an den Rand von Burgham, ein anderes Elborst ansteuernd? Das kann doch nicht wahr sein.

Da ist eine Tankstelle und zu der fährst Du, um erst mal einen Kaffee zu trinken und nach Martin zu fragen. Mehrfach hattest Du unterwegs schon erfolglos versucht, Martin telefonisch, per E-Mail oder per Messenger zu erreichen. Auch jetzt klappt es nicht. Du bestellst den Kaffee und als Du nach Martin fragen willst, fällt Dir erst auf, dass Du den Nachnamen gar nicht weißt. Aarrrrgh, dieses Scheißgeduze heutzutage, denkst Du als Mensch, den es ansonsten immer irritiert, wenn heutzutage noch gesiezt wird. Egal, Du fragst trotzdem nach einem Martin und erwähnst auch noch, dass er in einer der Straßen wohnen müsse, die links von der Straße abgehen, wenn man von hier aus nach Elborst hineinfährt, in einem Haus mit einer knallroten Eingangstür.

Laut losgelacht hat er, der Tankwart und dann sagte er erst mal nichts. Es ist Dir ein wenig peinlich, Du bereust Dein “Egal, Du fragst trotzdem…” von vorhin. Dann aber sagt er doch was, der Tankwart. Ja, das sei typisch für Martin, nicht die Adresse zu nennen, sondern bloß Landmarken. Die genaue Adresse weiß der Tankwart auch nicht, aber er nennt Dir den Allns-Kloor-Redder als die Straße, in der Martin wohnen würde, in seinem schönen Haus mit der knallroten Tür. Allns kloor, denkst Du Dir, bedankst Dich und machst Dich auf in den Redder.

Obwohl es dort viele Häuser in einer langen Straße gibt, siehst Du nur eines mit einer knallroten Tür. Es ist das letzte Haus in der Straße, das sogar noch ein Stück weit von allen anderen Häusern entfernt steht. Ein Verweis auf “das letzte Haus” wäre hilfreicher gewesen als die knallrote Haustür, aber egal, Du bist da und siehst auch den Namen “Martin” auf dem Briefkasten, “Martin Martens” steht da.

Du bist zwar erleichtert und froh darüber, nun endlich da zu sein, zugleich aber auch noch angespannt und verärgert über Martins schlechte Beschreibung und Nichterreichbarkeit. Also atmest Du noch ein paar Mal tief durch, sprichst in Gedanken in Richtung Martin Martens den aus Deiner Meditationspraxis vertrauten Wunsch “Mögest Du glücklich und gesund sein, mögest Du in Frieden, Liebe und leichten Herzens leben”, steigst aus und klingelst in Vorfreude auf Deine neue alte Kommode.

Dir öffnet ein erfreut ein herzlicher alter Mann, es ist Martin Martens und nach einigen Minuten Klönschnack geht’s auf in Richtung Kommode. Als Du sie siehst, fällst Du fast hintenüber. Was ist das denn für ein Oschi? Die ist wunderschön, genau in dem Stil und der Farbe, die Du haben möchtest, aber sehr viel breiter als 120 Zentimeter und die passt niemals in Deinen Kombi. “Das sind nicht 120 Zentimeter”, platzt es aus Dir fast gesungen heraus, das “lieber Peter” kannst Du Dir verkneifen. Nö nö, erwidert Martin, nicht Zentimeter. Es seien natürlich 120 Zoll.

An der Stelle wachst Du auf und beschließt, heute noch in das Möbelhaus Deines Vertrauens zu fahren und Dir doch eine neue neue Kommode zu kaufen.


Beitragsbild von Hands off my tags! Michael Gaida auf Pixabay

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